Ist die Stadtbahn wirklich schneller und zuverlässiger als Busse?
Die Stadtbahn soll hauptsächlich auf einer eigenen Trasse fahren und an Kreuzungen durch entsprechende Ampelschaltungen Vorrang vor dem übrigen Verkehr erhalten. Dadurch sollen die Fahrgäste schneller und pünktlicher ans Ziel gebracht werden. Das klingt vordergründig sehr plausibel, bei genauerer Betrachtung ist jedoch das Gegenteil der Fall:
- In ihrem „Bericht Standardisierte Bewertung, Stadtbahn Kiel, Inbetriebnahmestufe 1“ vergleichen die von der Stadt beauftragten Gutachter explizit die Stadtbahn (Mitfall) mit dem Busbetrieb (Ohnefall). Im Anhang auf Blatt 4-4 steht: Die mittlere Reisezeit beträgt sowohl bei der Stadtbahn als auch bei Bussen 21,5 Minuten. Die mittlere Beförderungszeit ist mit der Stadtbahn jedoch mit 18,2 Minuten ganze 0,9 Minuten (= 54 Sekunden) kürzer als mit Bussen.
- Die Gutachter haben jedoch die Störanfälligkeit der Stadtbahn nicht bedacht. Was Störanfälligkeit bedeutet, weiß jeder, der versucht hat, mit der Deutschen Bahn pünktlich ans Ziel zu kommen. Karl Scharpf, der zunächst elf Jahre im ÖPNV in Hamburg tätig war, bevor er zum Betriebsleiter der Kieler Straßenbahn berufen wurde, sagt zur Störanfälligkeit der Kieler Stadtbahn: „Die Störanfälligkeit ist in Kiel, wo sich alle vier Linien von der Andreas-Gayk-Straße bis Gaarden eine Trasse teilen, ein gravierender und in Deutschland wohl einmaliger Systemmangel. Behinderungen, Vandalismus, Unfälle, Baumaßnahmen u. a. in diesem Streckenabschnitt werden zu extrem vielen Betriebsstörungen im Gesamtnetz führen.“
- Die Störanfälligkeit ist bei Bussen kein großes Problem, denn sie können eine Behinderung umfahren und bei einer eigenen Panne schnell ausgetauscht werden. Eine Bahn kann nicht einfach die Trasse verlassen. Wenn an der Trasse gebaut werden muss, die Stadtbahn eine Panne hat oder der Verkehr durch einen Unfall behindert wird, bleibt die Stadtbahn stehen.
- Laut Aussage der Stadt soll die Stadtbahn „hauptsächlich“ auf einer eigenen Trasse fahren. Es gibt aber genügend Streckenabschnitte, bei denen keine eigene Trasse möglich ist. Beispiele sind die Olshausenstraße, die Holtenauer Straße bei Belvedere, die Bergstraße, die Hummelwiese, Karlsbad, die Helmholtzstraße, die Röntgenstraße und die Geschwister-Scholl-Straße. Das sind alles neuralgische Streckenabschnitte, auf denen sich Autos, Radfahrer, Scooterfahrer und kommunale Versorgungsfahrzeuge die Fahrbahn im Mischverkehr teilen müssen. Bei jeder Störung, jedem Unfall oder jeder Mülltonne, die geleert werden muss, steht der gesamte Verkehr.
- Die anderen Verkehrsteilnehmer werden bei dieser Argumentation insgesamt außer Acht gelassen. Was nützt es, wenn 15 % der Bürger die Stadtbahn nutzen und 85 % der Bürger deshalb auf engeren Radwegen, Ausweichstraßen etc. langsamer unterwegs sind als heute? Ein Beispiel ist die Holtenauer Straße, die in eine 30er-Zone umgewandelt werden soll. Auch eine Sperrung der Kiellinie ist geplant. Fast der gesamte Autoverkehr wird dann in den Knooper Weg oder die Feldstraße ausweichen. Dort wird es zu Staus kommen, da es in den Schulbereichen (Gelehrtenschule, Hebbelschule, Humboldtschule) und aufgrund der vielen Ampeln zu einem Stillstand kommen wird.
- Auch die heutigen Bewertungen der Fahrgäste des KVG zum Thema Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind aufschlussreich. Sie bewerteten die Zuverlässigkeit der Busse mit der Note 1,79 und die Pünktlichkeit mit der Note 1,77. Der Durchschnitt aller Bewertungen lag bei 1,83 und stellt somit eine historische Bestnote seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2010 dar. Pünktlicher und zuverlässiger geht es also nicht. Ob die Fahrgäste wegen 54 Sekunden Unterschied eine Milliarde Euro mehr für die Stadtbahn ausgeben möchten?
- In der Trassenstudie haben die Gutachter noch Wege aufgezeigt, mit denen die Busse deutlich schneller ans Ziel kommen würden. Für 45 Millionen Euro könnten sie an neuralgischen Punkten ebenfalls eine eigene Trasse erhalten und durch entsprechende Ampelschaltungen im Verkehr priorisiert werden (Ramböll, 09/2022, Dokumentation AP E-123.2, Zukünftiges Busnetz ohne neues HÖV-System, Trassenstudie für ein zukunftssicheres ÖPNV-System auf eigener Trasse). Diese Investitionen finden sich jedoch nicht im oben genannten Bericht zur ersten Inbetriebnahmestufe wieder. Wenn der Stadt also eine schnelle Beförderung wichtig wäre, hätte sie die Investitionen auch für den Busbetrieb eingeplant..
Wer etwas über die erhöhte Unfallgefahr durch die Stadtbahn lesen möchte, kann das hier tun.
Zusammenfassung:
Insgesamt sehen wir den Vorteil eindeutig bei den Bussen. Der Verkehr in Kiel ist für alle Bürger mit Bussen fließender, flexibler, mit weniger Störungen verbunden und 1 Mrd. € günstiger. Wer wirklich mit dem ÖPNV schneller unterwegs sein möchte, sollte sich wie wir dafür einsetzen, dass die von den Gutachtern empfohlenen Beschleunigungsmaßnahmen für den Busverkehr umgesetzt werden.