Wird es durch die Stadtbahn zu einer Aufwertung des Stadtraums kommen?

1. Ziele vs. Realität der Stadtraumaufwertung:

Als Argument für die Stadtbahn wird immer wieder die „Aufwertung des Stadtraums“ angeführt, die bei der „Integration der Stadtbahn ins Stadtbild“ umgesetzt werden soll. Es soll eine „historisch einmalige Neugestaltung des öffentlichen Raums an der Trasse“ erfolgen. Geplant sind „neue Versiegelungen zu minimieren, eine hohe Aufenthaltsqualität sicherzustellen und ein integriertes ökologisches und freiraumplanerisches Gesamtkonzept zu entwickeln“. Wie ein solcher unversiegelter Verkehrsraum mit hoher Aufenthaltsqualität aussehen kann, zeigen die Planer in der neuesten Broschüre am Beispiel der Arkaden in der Holtenauer Straße.

Realität:

Da die Holtenauer Straße von Hauswand zu Hauswand nur 33 Meter breit ist, schlängeln sich Autofahrer, Radfahrer, Scooter, Lieferverkehr und die kommunalen Versorgungsfahrzeuge entlang einer Fahrbahn um Bäume und Haltestellen herum. Die Holtenauer Straße soll gemäß den Planungen in eine 30er-Zone verwandelt werden. Das ist auch notwendig, denn Fußgänger müssen die Fahrbahn kreuzen, um zur Stadtbahn-Haltestelle zu gelangen. Die elektrischen Oberleitungen samt Leitungsmasten für die Stadtbahn sind offenbar in der durchsichtigen Variante ausgeführt. Bäume ragen in den Fahrweg der Stadtbahn und der Straße hinein und erfüllen das gesetzlich vorgeschriebene Lichtraumprofil von 4,50 m nicht. Daher können weder die Stadtbahn noch Autos die Fahrbahnen nutzen, die übrigens komplett versiegelt sind. Die vom Verein „Die Holtenauer“ geforderten Lieferzonen entfallen komplett.

 

Wir haben nachgefragt:

Da das alles nicht nach einer „Aufwertung des Stadtraums“ aussieht, fragten wir im September 2025 nach:

In Ihrer Stadtbahnbroschüre von 9.25 nimmt ein Bild mit der idealen Straßenraumaufteilung großen Platz ein.

  1. Wie häufig wird diese ideale Aufteilung entlang der 12,6 Kilometer langen ersten Ausbaustufe erreicht (in Kilometern und prozentual)?
  2. Wie häufig müssen sich Radfahrer und Autofahrer dieselbe Spur teilen (in Kilometern und prozentual)?
  3. Wie häufig wird der bestehende Radweg aufgrund der Straßenbahn eingeschränkt (in Kilometern und prozentual)?

 

Die offizielle Antwort der Stadt Kiel lautet:

„Die Grafik zeigt die ideale Aufteilung des Straßenraums, bei der alle Verkehrsbeteiligten ausreichend Platz haben. In der Realität steht jedoch nicht genügend Platz zur Verfügung, sodass Kompromisse notwendig sind, um den begrenzten Raum bestmöglich auf alle Nutzer*innen zu verteilen. Dafür wird die Vorplanung unter einer umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt, um die bestmögliche Straßenraumaufteilung für die jeweilige lokale Situation zu identifizieren.“

 

2. Finanzierung und zeitliche Planung der Stadtraumaufwertung:

Für eine „für Kiel historisch einmalige Neugestaltung des öffentlichen Raums entlang der Trasse und den anliegenden öffentlichen Räumen“ ist auch eine einmalig hohe Geldsumme zu erwarten. Schliesslich sollen insbesondere fünf Orte entsprechend umgestaltet werden:

  • Zentrum Wellingdorf
  • Zentrum Gaarden
  • Hauptbahnhof
  • Südliche Holtenauer Straße (Arkaden bis Bernhard-Minetti-Platz)
  • Zentrum Wik

 

Realität:

Ein Blick in die Finanzplanung zeigt jedoch lediglich einen Posten von 21 bis 24 Millionen Euro für den Bereich „Städtebau“. Die Bauzeit der ersten Linie soll vier Jahre dauern (2031–2034).

Zum Vergleich: 

  • Die 180 m Holstenfleet kostete schließlich knapp 19 Mio. € und dauerte drei Jahre.
  • Die Reparatur der 500 m Spundwand und das Auffüllen mit Asphalt an der Kiellinie kosteten schließlich knapp 15 Mio. €. Der Bauzaun wurde 2016 aufgestellt und die Maßnahme wurde 2024 abgeschlossen.

 

Wir haben Nachgefragt:

Da es uns als unwahrscheinlich vorkam, dass „Aufwertung des Stadtraums“ für 12,5 Km Länge nur 21 Mio. kosten und 4 Jahre dauern würde, fragten wir im September 2025 nach:

In Ihrer Stadtbahnbroschüre von 9.25 nennen Sie die Aufwertung des Stadtbilds als wesentlichen Vorteil für die Stadtbahn für Kiel. Für die wichtigste erste Inbetriebnahmestufe sind dafür 24 Mio.€ vorgesehen.

  1. Werden die Maßnahmen durch Bund oder Land gefördert, oder muß Kiel die Kosten zu 100% übernehmen?
  2. Welche Maßnahmen sind genau für die 24 Mio.€ geplant?
  3. Sind die geplanten Maßnahmen auch im Ohnefall zu gleichen Kosten umsetzbar?

 

Die offizielle Antwort der Stadt Kiel lautet:

Eine hochwertige städtebauliche Gestaltung ist gesondertes Ziel der Stadtbahnplanung. Am 17.07.2025 wurde die Konzeptstudie „Städtebauliche Vertiefungsbereiche entlang der Stadtbahntrasse“ durch die Ratsversammlung beschlossen (Drs. 0691/2025-01). Die Finanzierungsmöglichkeiten für den Städtebau über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) hinaus werden aktuell durch die Verwaltung (Drs. 0854/2025-01) geprüft. Dies betrifft auch die Prüfung der Finanzierung über die Städtebauförderung, die insbesondere Maßnahmen zur städtebaulichen Aufwertung beinhaltet. Derartige Maßnahmen betreffen die Freiraumplanung und sind planerisch mit der Stadtbahn verknüpft, deren Umsetzung aber nicht zwingend an die Stadtbahn gebunden ist.

 

3. Zusammenfassung:

Ja, zu einer Aufwertung des Stadtraums kann es kommen.

Allerdings:

Die Aufwertung des Stadtraums wird die von der Stadt gesetzten Ziele nicht erreichen. Dafür reicht der zur Verfügung stehende Raum schlichtweg nicht aus. Trotz aller Versuche einer Beschönigung zeigen die von den Planern zur Verfügung gestellten Bilder dies eindeutig.

Eine Aufwertung der fünf geplanten Stadtgebiete ist weder für 24 Mio. € noch innerhalb von vier Jahren umsetzbar.

Die Stadt muss nach jetzigem Stand 100 % der Kosten einer Aufwertung selbst finanzieren.

Die Aufwertung ist nicht an die Stadtbahn gebunden. Die Ratsversammlung könnte also jederzeit eine Aufwertung beschließen.

Die Stadt Kiel lehnt es ab, genauere Auskünfte zu erteilen.

 

Quellen:

Landeshauptstadt Kiel, 2024, Stadtbahn Kiel - Konzeptstudie Städtebauliche Vertiefungsbereiche, Anlagen Abschlussbericht

Landeshauptstadt Kiel, 2025, Zukunft der Mobilität: Die Stadtbahnplanung in der Landeshauptstadt Kiel, S.14f.

Landeshauptstadt Kiel, 2025, Finanzielle Auswirkungen Stadtbahn - Inbetriebnahmestufe 1, Drucksache 0209/2025, S.6

Landeshauptstadt Kiel, 2025, Abschlussbericht Konzeptstudie Städtebauliche Vertiefungsbereiche, S.4